100 LOB UND ADEL

Meine BARON MODELL 1:
Holz as Holz can.

Es gibt viele Fragen, die mir leider nie jemand stellt. Zum Beispiel diese: ”Sag mal, Tim – wie ist eigentlich das Leben mit gleich zwei einzigartigen Boutique-Instrumenten?” Aber zum Glück habe ich #timschraubtbass. Und wann sonst als zur Feier der jetzt erreichten Dreistelligkeit meiner Artikel (bin ja alles andere als ein Power-Blogger) wäre ein besserer Zeitpunkt für eine ausführliche, reich illustrierte Antwort?

In diesem und in den (irgendwann) folgenden Artikeln schreibe ich also über das ”Gitarren-Nirwana”, das ich laut Experte Oliver Baron mittlerweile erreicht habe. Es geht los mit meiner wunderschönen ”Baron Modell 1”, die ich mir anlässlich meines runden Geburtstags 2020 von Oliver habe bauen lassen – was hier von Anfang an ausführlich und in mehreren weiteren Teilen (eins, zwei, drei) nachzulesen ist.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin sehr, sehr glücklich mit dieser Gitarre. Immer noch und sogar immer mehr mit der Zeit. Ich habe sie jetzt ja schon bald drei Jahre.

Aber davon erzähle ich natürlich auch gerne etwas genauer. 😉 Here we go: One, Two, Three, Four …

1. OPTIK

Muss ich dazu noch viel schreiben … ?

Was mich bis heute fasziniert: Sie sieht je nach Licht immer wieder anders aus. Auch im Proberaum! Schönen Gruß von Mr. Warhol:

2. SOUND

Da ich mein Recording-Setup (bzw. mein komplettes Heimstudio) immer noch umbaue & neu konfiguriere, habe ich bisher leider keine eigenen aussagekräftigen Aufnahmen anzubieten. Zum Glück gibt es dafür seit ein paar Wochen einen brauchbaren Workaround. 😉

Der gute Gregor Hilden hat kürzlich für Oliver exzellente Aufnahmen mit einer Baron Modell 1 produziert. Leider nicht mit meiner. Die ja aber auch ein Vorserienmodell ist – wovon noch zu reden sein wird. Nichtsdestotrotz erkenne ich ”meinen” Baron-Sound in den Aufnahmen gut wieder. Es hilft natürlich, dass Herr Hilden schon tausende (!) solcher Videos produziert hat und genau weiß, wie man einen Gitarrensound perfekt einfängt. Abgesehen davon ist er ein herausragender Gitarrist. Warum sollte ich mir also die Mühe machen, selbst was aufzunehmen? Wobei: Ich reiche selbstverständlich Aufnahmen meiner Baron nach, sobald ich da was vorzuweisen habe. In the meantime:

Oder auch hier alle auf Olivers Medien-Seite.

Übrigens sind diese Videos auch in Gregor Hildens eigenem YouTube-Channel veröffentlicht worden – mit (dem Instrument angemessen) enormer Resonanz, wie man hier, hier und hier nachschauen kann.

3. SOUND

Wie jetzt? Hatten wir doch gerade schon, oder?

Ja, stimmt einerseits. Aber eben nur allgemein mit einer und nicht meiner Baron Modell 1 (Seriennummer 7). Und andererseits: Man kann gar nicht genug über den Sound dieser Gitarre reden. Beziehungsweise schreiben – und das ist hier schließlich ein Textblog. Zumindest überwiegend.

Und doch fällt es mir schwer, den Sound der Gitarre zu beschreiben. Vielleicht, weil es nach fast drei Jahren mit ihr einfach mein Sound ist?

Ich probiere mal, quasi von der anderen Seite reinzukommen. Denn immer, wenn ich meine anderen E-Gitarren gespielt habe (was immer seltener wird) und zurück zur Baron wechsele, merke/spüre/höre ich den Unterschied sofort. Ich besitze zum Beispiel eine gute Strat-Kopie (von Charvel/Jackson) und eine gute Fender USA-Tele. Als ich vor ein paar Monaten mal auf beiden die Saiten gewechselt und jeweils das Setup geprüft habe, hatte ich sie wieder etwas länger in der Hand. Ich besitze und spiele beide Instrumente schon ewig (20. Jahrhundert 😁) und sie gefallen mir immer noch gut. Sie machen genau das, was sie als Fender Tele und als Strat-Kopie machen sollen, und das auf einem guten bis sehr guten Niveau.

Nach einer Weile in der Tele- und Strat-Welt schnallte ich wieder die Baron um, spielte einen Akkord und dachte im Vergleich spontan: Wow, yes, genau so muss ein Halspickup klingen! Resonant, voll, luftig-schwingend und mit viel, viel Holz. In der gleichen Sekunde fiel mein Blick aufs Bedienfeld: Es war der Stegpickup. 😉

Es ist tatsächlich so, dass sich die Baron in ihrer ganz eigenen Sound-Welt bewegt. Deshalb führen Vergleiche eher in die Irre. Ja, sie kann (vor allem mit dem Steg-PU) knackig, perkussiv und strahlend drahtig klingen. Aber klingt sie dann genau wie eine Tele? Nein.

Ja, sie kann silbrig kehlig schmatzen, wenn beide PUs im Spiel sind. Aber auch das klingt weder genau wie eine Tele mit beiden PUs noch wie eine Strat in den klassischen Knopfler-PU-Mittelstellungen.

Und der Hals-PU allein? Sagen wir mal so: Wenn ich da sowohl Volume als auch Ton nur ein bisschen runterrolle, gibt das einen Fingerpicking-Ton (und ein entsprechendes Spielgefühl), als hätte ich eine akustische Gitarre in der Hand. So etwas geht mit (herkömmlichen) Teles und Strats schlichtweg nicht.

Von der Wand in die Hand. Möglichst täglich.

Klar, meine Referenzgröße ist eher die Fender-Welt. Mit Gibson-Instrumenten bin ich nie richtig warm geworden. Doch ich bin mir absolut sicher, dass die Baron für Gibson-Fans einen ähnlichen Effekt hat: Man erkennt Anklänge an klassische E-Gitarren-Modelle und deren Sounds, aber im Vordergrund ist stets klar und deutlich die eigene Stimme des Instruments vernehmbar. Und das ist wirklich etwas Einzigartiges, was meines Erachtens bei Instrumenten ”von der Stange” (oder was ist das Gegenteil von Boutique?) eher selten ist.

Begriffe wie Charakter, Persönlichkeit, Lebendigkeit und Individualität sind hier tatsächlich vollkommen angemessen. Das erkannte ich vor allem in den vielen kleinen Momente, in denen man mit einem Instrument mehr und mehr zusammenwächst: Wenn man merkt, dass man über die Bedienung von Schaltern und Reglern nicht mehr bewusst nachdenkt. Wenn man einen Sound erst im Kopf hört und gleich darauf von der Gitarre. Wenn man irgendetwas spielt und plötzlich selbst erstaunt darüber ist, auf einmal ganz neue Töne vom Instrument zu hören.

Dieses Wechselspiel zwischen Instrumentalist und Instrument ist tatsächlich höchst inspirierend – und ich habe es bisher nie auf diesem Niveau erleben dürfen. In der Klassik ist sowas eher üblich, Star-Virtuose Nigel Kennedy spricht auch immer sehr liebevoll von seiner ”Strad”(ivari). Klar, er könnte auch auf anderen (Meister-)Violinen brillieren. Und das Publikum würde wahrscheinlich kaum einen Unterschied hören. Aber Kennedy würde es hören. Und fühlen. Und genau das macht den Unterschied: Denn es geht ja nicht um Perfektion. Sondern um Charakter, Lebendigkeit und Persönlichkeit – die durchaus auch ”Fehler” oder zumindest gewisse ”Eigenheiten” einschließen können. Aber die in ihrer Summe den individuellen Charme eines Instruments konstituieren und es unverwechselbar machen.

An manchen Tagen ärgert man sich beim Spielen sogar regelrecht übereinander. Außerdem sieht meine Baron nicht nur in jedem Licht wieder anders aus – sie klingt auch dauernd etwas anders als noch einen Tag vorher. Das kann man auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck oder was auch immer schieben. Oder einfach sagen: Sie fühlt sich heute eben einfach anders (an) als gestern. Ist bei uns Menschen ja auch so. Immer exakt gleich wäre eher ungewöhnlich. Oder gar verdächtig …

4. Ausstattung & Handling

Bevor’s hier noch esoterischer wird, gehe ich lieber kurz auf ganz konkrete Details und Ausstattungsmerkmale meiner Baron Modell 1 mit der Seriennummer 7 ein. Wie erwähnt ist sie aus der Vorserie und hat noch nicht alle Features des heutigen Serienmodells. Das sich allerdings auch evolutionär weiterentwickelt – zum Beispiel ist Oliver kürzlich auf ein (sehr edles) Öl-Wachs-Finish für das Holz umgestiegen.

Die Pickups: Ich habe P90er und noch nicht die von Oliver selbst gefertigten Charlie-Christian-PUs der aktuellen Modelle. Über dieses und sämtliche anderen Details steht übrigens auf www.barongitarren.de viel zu lesen. Am Anfang waren noch Humbucker in einer Baron, über den PU-Tausch nach rund einem halben Jahr hatte ich bereits ausführlich berichtet. Für mich klingen die P90er fantastisch, ich würde nicht tauschen wollen. Ich bin zwar auch von Olivers eigenen PUs absolut überzeugt, aber ich finden meine einfach optisch ansprechender. Geschmacksache, klar. Aber Auge hört eben mit.

Die Ebenholz-PU-Cover sind aus dem gleichen Stamm wie das Furnier der Kopfplatte. Wahnsinn.

Elektrik und Bedienfeld: An die eher ungewöhnliche Positionierung von Schalter und Reglern habe ich mich sehr (!) schnell gewöhnt. Meine rechte Hand fand schon nach ein paar Tagen automatisch und ohne Nachdenken den Weg. Was für mich heißt, dass die Position ergonomisch klug gewählt ist – mal abgesehen davon, dass ich das Bedienfeld auch ästhetisch sehr gelungen finde.

Einfach schön & schön einfach.

Wie man sieht, habe ich nicht den Charakter-Drehschalter, über den vier Grundsounds ”von warm und mittig (1) bis offen und brillant (4)” abgerufen werden können. Denn dessen Entwicklung war erst nach meinem Kauf abgeschlossen. Oliver hatte mir angeboten, ihn nachträglich in meine Baron einzubauen. Ich habe ihn dann (an einem anderen Serienmodell) ausprobiert und finde ihn genial. Allerdings war ich zu diesem Zeitpunkt schon so an meine Baron und ihr Handling gewöhnt, dass ich sie nicht mehr groß verändern wollte. Außerdem ist der Drehschalter natürlich exakt auf die Baron-PUs abgestimmt – der Effekt mit meinen Amber-P90ern wäre etwas anders gewesen.

So oder so: Ich komme mit meinem Tone-Regler hervorragend klar und setze ihn auch oft ein. Zum Beispiel, um den Steg-PU etwas zu besänftigen und einen sehr druckvollen Rhythmus-Sound zu bekommen. Oder dem Hals-PU noch mehr akustische Wärme (Holz!) zu verleihen. Funktioniert super! Dazu tragen auch der saubere Lauf der Regler und die haptische Qualität der Ebenholz-Potiknöpfe bei. Die fasst man einfach gerne an. Genau wie den Schalter, der satt und sicher einrastet und auch ”blind” betätigt den Fingern klar vermittelt, in welche Position er steht. Allerdings kommt hier tatsächlich ein kleiner Kritikpunkt ins Spiel – so ziemlich der einzige, den ich habe. Er ist zum Glück eher nebensächlich und hat viel mit den tollen akustischen Eigenschaften der Baron und ihrer Konstruktion zu tun. Denn da der Schalter auf der schwingenden Decke sitzt, ist das Schaltgeräusch nicht gerade leise. 😉

Ach, und das Schlagbrett der aktuellen Modelle habe ich auch nicht – und wollte es auch nicht haben. Denn dafür ist die Decke meiner Baron einfach zu schön. Je mehr davon zu sehen ist, umso besser!

Der Hals: Lässt sich super spielen, hervorragendes Griffgefühl. Ich habe übrigens die 625er-Mensur und die gefällt mir gut. Aber ich war beim Ausprobieren der 600er-Modelle überrascht, wie wenig Unterschied die deutlich kürzere Mensur für Spielgefühl und Sound macht. Was wiederum für die Qualität der Hölzer und der gesamten Konstruktion der Baron Modell 1 spricht.

Die Ergonomie: Tatsächlich ist die Abrundung der oberen Korpuskante ein wichtiges Detail, das erheblich zum Spielkomfort beiträgt. Hätte ich erst gar nicht gedacht. Beim Spielen spürt man aber sofort, wie angenehm das ist. Und auch dieses Detail trägt zur überaus gelungenen Gesamt-Ästhetik des Instruments bei, finde ich.

Hoher Konstruktionsaufwand > hoher Spielkomfort.

Die gesamten Specs meiner Baron sind hier nochmal nachzulesen:

Wirklich 2,8 kg? Fühlt sich deutlich leichter an.

5. AMPLIFICATION

Ich hätte auch nochmal SOUND schreiben können. 😁

Die Baron Modell 1 hat zwar schon konstruktionsbedingt beträchtliche akustische Qualitäten, ist aber eine E-Gitarre. Braucht also Verstärkung.

Anfangs spielte ich sie über meinen Budget-Röhrenamp der Marke Rocktone. Der ist gar nicht sooo schlecht. Aber kein adäquater Sparringspartner für ein edles Boutique-Instrument. Also sah und hörte ich mich um und landete bei Supro.

Über mein (aktuelles) Board schreibe ich dann später mal was. 😉

Der Delta King 12 war genau das, was mir vorschwebte: integrierter Hall, Boost- und Drive-Möglichkeit, fertig. Also ein Class-A-Röhren-Amp, in den man die Gitarre einstöpselt und nichts Weiteres braucht. Und preislich in einer Region, die ich mir ein halbes Jahr nach dem Gitarrenkauf erlauben konnte. Wollte. Durfte. 😉

Schönes Paar! ❤️

Der Amp hat vor allem einen Master-Regler, lässt sich also super auf Zimmerlautstärke drosseln. Und macht dabei auch noch viel Spaß.

Wenn’s mal noch leiser sein muss, habe ich inzwischen auch eine Lösung:

Mein Freund Harley.

Das kleine Ding macht überraschend viel Spaß – mehr, als ich dachte. Sehr schöne Clean-Sounds. Damit ist man mit den Ohren ganz nah am Holz.

Apropos Gehör: So richtig laut habe ich meine Baron übrigens tatsächlich erst einmal gespielt. Im neuen Proberaum meiner Band, über den alten Rocktone. Schön laut – aber ich habe die besonderen Qualitäten der Gitarre auch in Band-Lautstärke gut wiedererkannt.

In meinem neu konfigurierten Heimstudio arbeite ich derzeit noch an einer Lösung dafür, den Baron-Sound optimal in den Rechner zu bekommen. Wenn ich zufrieden bin, reiche ich Aufnahmen an dieser Stelle nach!

6. FAZIT

Es ist ein fantastisches Instrument. Mir gefällt besonders die absolute Individualität meiner Baron Modell 1 mit der Seriennummer 7: Es gibt auf der ganzen Welt nur diese eine.

Schlicht, klar, edel. Schön.

Zu ihrer Einzigartigkeit trägt optisch und klanglich natürlich die tolle Ahorn-Decke (”mit Kern”, wie im Zertifikat steht) wesentlich bei. Aber es sind vor allem das Gesamtkonzept, die Konstruktion, die Auswahl der Hölzer und die unnachahmlich sorgfältige und liebevolle Verarbeitung, die meine Baron zu einem so außergewöhnlichen Instrument machen. Ich liebe auch gewisse winzige Details, die mir zeigen, dass sie eine zu 100 % handgefertigte Gitarre ist. Dezente Aging-Spuren gibt es auch schon. Aber die sehe wahrscheinlich nur ich … 😉

Es war eine gute Entscheidung, diese Gitarre zu kaufen. Ich kann’s nur empfehlen, sich so ein Instrument zu gönnen (wenn möglich). Seit ich sie habe, interessieren mich andere Gitarren tatsächlich deutlich (!) weniger. Sie ist also ”The One” geworden – und genau dieses Instrument für seine Kunden anzufertigen, hat Oliver tatsächlich mal als Anspruch und Antrieb seiner Arbeit als Gitarrenbauer formuliert. Mission accomplished!

Das war der erste Teil meiner ”Gitarren-Nirwana”-Trilogie. Der nächste folgt möglichst bald – stay tuned!

Hach!😊

97 TIME AFTER TIME

Die Geschichte(n) mit Chet

Vor über einem halben Jahr habe ich ein Konzert besucht – so ziemlich das erste, bei dem ich seit Ausbruch der Pandemie war. Und da sich daraus nicht nur eine sehr schöne Bass-Begegnung, sondern auch (mindestens) eine erzählenswerte Geschichte ergab, will ich diese nun endlich mal aufschreiben. Let’s get lost – in time!

Drehen wir erstmal die Zeit zurück. Wir sind in der Mitte der 1980er, hier beginnt die Geschichte, und zwar in meiner Heimatstadt Wilhelmshaven. Ich bin ungefähr 15 und verbringe neuerdings sehr viel Zeit auf meiner Bettkante, eine geliehene Konzertgitarre in den Händen. Wir sind also live beim Beginn meiner großen Gitarren- und Bass-Leidenschaft dabei. Gleichzeitig bewegt sich mein Vater, dessen unglaublich umfassender Plattensammlung ich viel zu verdanken habe, als Musikfan immer mehr in Richtung Jazz.

Ich mühe mich also oben unter der Dachschräge in meinem Zimmer, das noch ein bisschen Kinder-, aber doch schon ziemlich Jugendzimmer ist, mit Peter Bursch und ”Blowin‘ in the Wind” ab – während aus dem Wohnzimmer ganz andere Klänge mit großem Blue-Note-Anteil zu mir herauf wehen.

Almost Blue

Besonders oft erklingt in dieser Zeit Chet Bakers Live-Album ”Strollin’”, 1986 erschienen und mit einer sanft & cool vibrierenden Klang-Aura versehen. Ich hörte mit, zunehmend interessiert, und übte fleißig weiter ”Sloop John B.” und andere Pop- und Rock-Klassiker.

”Strollin’” wurde übrigens beim Jazz-Festival in Münster aufgezeichnet. Also in der Stadt, in der ich Jahre später erst studieren, und dann – mit Unterbrechungen – auch leben & arbeiten sollte. Letzteres bis heute. Was die erste merkwürdige biografische Verbindung durch Zeit und Raum zur Gegenwart in dieser an Merkwürdigkeiten nicht armen Geschichte ist.

Begleitet wurde Chat Baker bei dem Konzert in Münster nur von Gitarre (Philipp Catherine) und Bass (Jean-Louis Rassinfosse). Das traf bei mir einen Nerv – ich war damals zwar (noch) nicht Jazz-begeistert, aber ich fand den Sound und die besondere Atmosphäre des Konzerts total faszinierend. Als mein Vater mich dann 1987 fragte, ob ich mit zum Konzert von Chet Baker im Pumpwerk in Wilhelmshaven kommen möchte, sagte ich sofort ja.

Das Konzert war ein Erlebnis. Auch für einen jugendlichen Jazz-Neuling wie mich. Ich erinnere mich zwar nur an wenige Details, aber deutlich an sehr konzentriert spielende Musiker und ein sehr aufmerksames Publikum. Und daran, dass Chet Baker am Ende, vor oder nach den Zugaben, ein paar Sätze ins Mikro nuschelte, aber nicht gegen den tosenden Applaus ankam. Um dann frustriert sowas wie ”OK, you don’t wanna hear it …” zu sagen und abzutreten. Ich glaube, er wurde von seiner Band darauf aufmerksam gemacht, dass es ja nur unsere Begeisterung war, die ihn übertönte … Er war offensichtlich nicht besonders gut zurecht, sowohl physisch als auch psychisch. Etwas mehr als ein Jahr später lag er nach einem Sturz aus dem zweiten Stock tot vor einem Hotel in Amsterdam.

Milestones

Meine Geschichte ging weiter. Ich sah noch sehr viele namhafte Jazz- und Rockmusiker im Pumpwerk, entdeckte den E-Bass und später den Kontrabass für mich, gründete eine Band, strich im Streichorchester der Gymnasien Wilhelmshavens den Kontrabass und meinte das alles sehr ernst. Und hatte trotzdem meistens sehr viel Spaß dabei. Jazz interessierte mich, ich hörte viele Klassiker (stand inzwischen alles bei meinem Vater im Schrank), aber Bands wie die Talking Heads, The Who, Del Amitri und Lloyd Cole & The Commotions ließen mein Herz noch etwas höher schlagen.

Meine eigene Band war auf lokaler Ebene unerwartet erfolgreich, wir hatten sehr, sehr viele Auftritte in Stadt & Region und sehr, sehr viel Spaß dabei. Unsere Musik roch nicht mal ansatzweise nach Jazz; eine Zeit lang nannten wir unseren Sound ”Powerfolk”. Erstaunlich zutreffend, auch aus heutiger Perspektive.

Als ich mich also nach Abitur und Zivildienst Anfang der 90er nach einem Studienort umsah, der mir meine gewünschten Fächer bot und dabei nicht allzu weit weg von Wilhelmshaven war (die Auftritte gingen ja weiter), suchte ich mir Münster aus. Und war in meinen ersten Jahren dort tatsächlich auch einmal beim Jazz-Festival, es müsste 1993 gewesen sein.

Der Jazz begleitete mich also weiter, aber meistens nur als Fan und Hörer. Ich wollte ja nie Profi-Musiker werden, das war mir immer klar – wahrscheinlich, weil ich mich einfach nicht traute. Mein Leben bestand ja schon aus sehr viel Musik, und das dann auch als Lebensunterhalt zu machen, erschien mir wohl … einfach zu abenteuerlich, denke ich.

Und Abenteuer bot mir mein ”Irgendwas mit Medien”-Studium in Münster mit paralleler Band-Geschichte in Wilhelmshaven auch so schon genug. Vor allem lernte ich in dieser Zeit viele Menschen kennen, die mir bis heute sehr am Herzen liegen. Zu diesen gehörte damals auch Clau(dia).

Little Girl Blue

Clau und ich hatten Ende der 90er sogar mal eine kurzlebige gemeinsame Band, in der sie ein paar Stücke sang – auf der Hochzeit ihres Bruders 1999. Noch ein paar Jahre später spielte ich dann mit meiner münsterischen Outlaw-Country-Band BARN PAIN auf Claus Hochzeit im Sauerland. Dann verloren wir uns ein bisschen aus den Augen. Jetzt nochmal einen größeren Zeitsprung in die Gegenwart – und zu Claus Konzert-Einladung, die sie im Februar 2022 an mich schickte:

What??? Ich war (milde ausgedrückt) komplett überrascht – Clau singt in einer Jazz-Band? Ein Chet-Baker-Tributprogramm? Mit Patric Siewert am Bass??

Da ich mittlerweile meiner Gitarren- und Bass-Leidenschaft wieder in vollem Umfang nachging, hatte ich schon etliche Artikel über Patric gelesen, ein paar Videos gecheckt und ihn als einen der profiliertesten Jazz-E-Bassisten im Land abgespeichert.

Mein erstaunte Nachfrage ergab folgende Geschichte: Oliver Schroer ist nicht nur Jazz-Pianist, sondern auch Kirchenmusiker. Unter anderem in der Gemeinde in Bochum, in der Clau inzwischen Pastorin ist. Die beiden lernten sich näher und Clau dabei auch die Welt des Jazz kennen. Die beiden begannen, zusammen Musik zu machen. Die Idee zu einem Chet-Baker-Tributprogramm entstand. Die Einbeziehung von Patric Siewert ergab sich ganz natürlich, denn Oliver & er machen sowieso dauernd zusammen Musik. So ähnlich lief es, sehr kurz zusammengefasst.

How Long Has This Been Going On?

Ich ging dann natürlich zum Auftritt in Münster, was die erste Begegnung mit Clau seit vielen Jahren war. Das Konzert machte mir große Freude:

“A Tribute to Chet Baker” besteht sowohl aus rein instrumental gespielten Stücken als auch aus Stücken mit Gesang von Clau. Außerdem werden einige Texte vorgetragen, die Leben und Werk von Mr. Baker erzählen und illustrieren. Ich fand’s sehr gelungen, nicht nur musikalisch, auch konzeptionell. Eine kongeniale Würdigung einer der faszinierendsten (und auch tragischsten) Figuren der Jazzgeschichte. Und Matthias Beckmann an der Trompete fand genau den richtigen Ton dafür.

Über die brillant spielende Band war ich sowieso höchst erfreut. Alles Profis an ihren Instrumenten und vor allem so richtig durch und durch Jazzer. Ein Erlebnis. Was mich immer besonders beeindruckt, ist absolute Timing-Festigkeit auch ohne Drummer. Wenn ich für mich alleine spiele, muss ich mich oft sehr konzentrieren, um im Groove zu bleiben. Ich bin halt immer Band-Musiker im Bereich Rock/Pop/Folk/Blues/Country gewesen und habe dabei meistens einen kompetenten Schlagzeuger zur Seite gehabt, dessen Beat mich führte und mit dem ich zusammen grooven konnte (im besten Fall). Aber hier spielten alle ohne Schlagzeug oder sonstigen externen Beat zum ”Draufsetzen” immer absolut perfekt auf den Punkt zusammen – durch alle Breaks und rhythmischen Windungen hindurch. Geil.

Ich achtete natürlich vorrangig auf Patrics Bassspiel und war ziemlich hingerissen. Wahnsinns-Fretlesssound und perfekte Intonation, inspirierte Linien und wunderbar melodische Soli. Bei denen er oft, ganz der klassischer Jazzer, jede Note leise Mitsang:

Dobedobedobeee … dobedo!

Ähnlich kann man das in diesem Video von Patric hören:

Er spielt, wie man sieht (seht ihr doch, oder??), einen Worp von Bassline. Also aus der Schmiede, die mir die Teile für meinen Schraubbass gefertigt & geliefert hat. Schöner Zufall! Wir kamen nach dem Konzert auch noch ins Gespräch, das wir dann später beim Mittagessen mit der ganzen Band noch etwas vertiefen konnten. Ich erzählte dabei auch von meiner eigenen Baker-Begegnung in den 80ern in Wilhelmshaven.

Patric reihte sich außerdem nahtlos ein in die Reihe von äußerst sympathischen Profi-Bassisten, mit denen ich mich schon mal persönlich austauschen konnte. Und ein Selfie machen durfte. Bei bester Laune aller Beteiligten. 😉

Was für ein wundervolles Konzerterlebnis! Klar, ist jetzt schon ein paar Tage her (20. Februar 2022), aber dieses Jahr war mal wieder so viel los, dass Bloggen auf meiner To-Do-Liste etwas nach unten rutschte.

Doch es war eben ein besonderes Konzert. Was sich im weiteren Nachgang bestätigte. Denn ich berichtete natürlich meinem Vater von meinem Konzertbesuch. Und weil ich wusste, dass er sich damals oft Notizen zu Konzertbesuchen gemacht hat (z. B. mit Zetteln in LP- und CD-Covern), fragte ich ihn, ob er zufällig auch den genauen Termin des Chet-Baker-Konzerts im Pumpwerk irgendwo notiert habe.

Hatte er. Und schrieb zurück: ”Zufälle gibt’s. Es war der 20. Februar 1987.”

Also auf den Tag genau 35 Jahre vor dem Tribut-Konzert in Münster.

Um es mit der Reaktion von Clau zusammenzufassen, als ich ihr das berichtete: ”What?!?! Das ist wirklich unfassbar!!!“

Soweit also zu Zeit und Raum und den unvorhersehbaren Verwicklungen, Entwicklungen und Verbindungen, die sie schaffen.

Wobei: Eine Fußnote gibt’s noch dazu.

Time on My Hands

Denn am Wochenende darauf waren Freunde von uns zu Besuch bei uns, Andrea und Kai. Wir aßen zusammen & saßen schön beisammen und ich erzählte bei der Gelegenheit, dass ich gerade beim ersten Konzert nach langer Zeit gewesen war. Als ich dann kurz die Geschichte dahinter zusammenfasste und auch die (Vor-)Namen der Beteiligten nannte, runzelte Andrea die Stirn. Und fragte: ”Wie heißt denn dieser Oliver mit Nachnamen?”

Ja, genau: Sie kannte ihn. Sogar ganz gut. Die beiden waren rund 30 Jahre zuvor Teil der gleichen ”Clique”, wie man so schön sagte, in Oberhausen. Und Oliver war natürlich damals schon Jazz-begeisterter Pianist, was Andrea auf den Gedanken brachte: ”Moment: ein Oliver, Pianist, Jazz-Musiker, Großraum Oberhausen/Bochum, unsere Altersgruppe – den kenne ich doch!” 😉

Auch hier fasst die Reaktion von Clau, als ich über sie Grüße von Andrea an Oliver ausrichten ließ, die Sachlage sehr gut zusammen: ”Aber wirklich verrückt, oder? Diese Verzweigungen manchmal – unglaublich!”

Strollin‘

Dieser kleine Spaziergang durch Jazz, Zeit und Raum war eines der schöneren Erlebnisse 2022. Es gibt aber durchaus noch mehr zu schreiben – und ich sehe zu, dass ich das auch wieder etwas regelmäßiger mache. Also demnächst mehr an dieser Stelle. Über Musik, Bässe, Gitarren und das Leben – wie immer hier im Blog. Oder, wie Mr. Baker das vielleicht zusammenfassen würde: These Foolish Things.

Bis hoffentlich bald also – stay tuned!

96 DIES & BASS II

Professor Stelzer in da House!

Ja, meine Güte, war viel los in den letzten Monaten. Schiebe so einige Blog-Artikel vor mir her. Hätte mir als Berufsschreiber eben besser nicht das Hobby Schreiben aussuchen sollen. Egal. Jetzt geht’s weiter.

Ich lese ja schon seit ein paar Jahren wieder fleißig diverse Fachzeitschriften, zum Beispiel die Gitarre & Bass und den BASS PROFESSOR. Dank der märchenhaften Marleaux-Geschichte bin ich jetzt in letzterer auch drin. Wurde dafür zwar nicht extra kontaktiert, aber ist ja auch nur eine kleine Randnotiz … 😉

Nein, und es gab dafür auch keine Foto-Session in meiner Studio-Mansarde – das ist ein Screenshot aus meinem zweiten Dankeschön-Video für Marleaux. Wobei ich ja schon dankbar bin, dass die Redaktion nicht diesen Screenshot genommen hat:

”Komm, küss mich, Muse!”

Oder diesen:

”Meinen Marleaux erkennen ich auch mit geschlossenen Augen!”

Aber vielleicht ist ja in jeder gedruckten Ausgabe ein anderer Screenshot? Kauft einfach alle mindestens ein Exemplar, dann können wir vergleichen:

Nebenbei … Aufmerksamen Zuschauer*innen und Leser*innen wird wahrscheinlich dieses Bilddetail im Hintergrund nicht entgangen sein:

Aber aktuell hat das Baron Modell 1 offensichtlich die Tendenz, irgendwo im Bild aufzutauchen, oft sogar im Vordergrund …

Und was war sonst noch los? In Sachen Bass und so?

Darüber berichte ich möglichst bald. An dieser Stelle aber noch eine dringende Empfehlung: Mein junger Rock’n’Roll-Sohn hat jetzt eine eigene SoundCloud-Seite. Dort hat er bereits zwei Songs veröffentlicht, komplett selbst komponiert und produziert (nachdem er mir nach und nach mein Aufnahme-Equipment abgeschwatzt hat):

Hört mal rein. Lohnt sich. Nicht, dass sich später jemand beschwert, meinetwegen die Frühphase eines internationalen Hit-Phänomens verpasst zu haben.

Und was machen eigentlich DIE BERATER?

Wir suchen eine/n Gitarrist*in. Wer sich berufen fühlt, bitte melden.

Noch was?

Ja. Mein alter Held, der große Michael Head, hat ein neues Album veröffentlicht. Und das freut mich sehr! Er singt immer noch wie ein junger Gott und schreibt unvergleichlich gute Songs. Hört auch hier mal rein:

https://music.apple.com/de/album/dear-scott/1609259543

Jetzt ist aber gut, oder?

Ja ja. Aber für den ersten Artikel seit Monaten doch ganz OK, oder?
Da kommt bald mehr – stay tuned!